SZ: "Querdenker"-Kundgebung in Konstanz - Freude am Gegenwissen

7.10.2020   Ein Gastbeitrag von Christoph Brauer, Johannes Pantenburg, Johanna Puth und Benedikt Sepp:
Wie kommt man mit Menschen ins Gespräch, die Corona-Maßnahmen ablehnen und dagegen auf die Straße gehen? Sind sie für die Vernunft verloren? Ein akademisches Experiment am Bodensee.

Die vielen Polizisten stehen etwas verloren vor dem bunten Volk, das sich am Ufer des Bodensees versammelt hat:

Wir sehen strickende Frauen und Eltern mit Kindern auf Picknickdecken; junge Männer, die eher nach Surfschule als nach Reichsbürgernachwuchs aussehen, geben Getränke gegen einen frei wählbaren Soli-Beitrag aus. Zwei Männer Mitte fünfzig in karierten Hemden fotografieren sich gegenseitig mit der Bühne im Hintergrund: Festhalten, dass man dabei war.

Wir sind wissenschaftliche Mitarbeiter und Studierende am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Universität Konstanz. Am vergangenen Wochenende haben wir uns unter die große Kundgebung der "Querdenken"-Bewegung gemischt, die am Bodensee im Anschluss an eine "Friedenskette" stattfand, und Gespräche geführt.

Unsere Erwartungen waren stark durch die Bilder aus Berlin geprägt, wo Ende August für einen Moment Reichsflaggen vor dem Reichstag wehten und sich Rechtsextreme kurz vor der Machtergreifung wähnten. Nach "QAnon"-Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern oder Identitären muss man hier in Konstanz nun länger suchen, auch weil die Stadtverwaltung Reichsfahnen und entsprechende Symbole auf der Demonstration untersagt hat - die Gruppen sind aber auch hier zu finden und neben Siebenten-Tags-Adventisten, Geistheilern, Patschuliduft und speziellen Querulanten mit ihren Flyern und Magazinen gleichberechtigt geduldet.

Dass man vorwiegend Rechtsextreme mit der "Querdenken"-Bewegung verbinde, sei der eigentliche Skandal, so sieht es der Großteil der am Seeufer Versammelten: Viele beschreiben die Teilnahme an der Demonstration in Berlin und vor allem die folgende Berichterstattung mit ihrem vermeintlich ausschließlichen Fokus auf die Rechten als Schlüsselerlebnis, das sie in ihrem tief sitzenden Misstrauen gegen die "Mainstream-Medien" bestärkt habe. Misstrauen gegenüber Medien und Politik ist, neben der Ablehnung der Pandemiemaßnahmen ("überzogen", "Panikmache", "verfassungswidrig"), ein einigendes Element der sonst sehr diversen Truppe.

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S.a.:
Das Schweigen
Es mangelt in Deutschland an sachlicher Kritik an der Corona-Politik. Dabei gäbe es viel zu beanstanden. Dafür muss man nicht Verschwörungstheoretiker werden.   Kolumne von Jagoda Marinić

07.10.2020 - 12:30