Gastbeitrag eines nachdenklichen Bürgers (Name ist der der Redaktion bekannt): AfD-Veranstaltung am 12.05.17 im Hilde-Domin-Saal der Stadtbücherei: Fragen bleiben offen
27.5.2017 Neben der Frage- auf die sich Herr Prof. Dr. Würzner zurückzieht -, ob die AfD formaljuristisch das Recht hatte, eine öffentlich als öffentlich angekündigte Veranstaltung unter der Hand in eine geschlossene umzuwidmen und die Stadt sich dagegen nicht wehren kann - diese Frage haben Juristen zu klären -, bleibt die politische Frage, ob es legitim ist, in öffentlichen Räumen, interessierte und weder erkennbar gewalttätige noch randalierende Bürger mittels Sicherheitsdienst nach undurchsichtigen Kriterien auszuschließen (zu den Ausgeschlossenen zählten u.a. Journalisten und Gemeinderäte).
Steht es einer öffentlichen Einrichtung wie der Stadtbücherei, mit in der Satzung festgeschriebenem öffentlichem Auftrag – auch der politischen Bildung - , an, politische Diskussionen zu verhindern? Ist, unter Umständen auch lautstarke, Diskussion bereits Gewalt oder Krawall und damit sicherheitsdienstlich und polizeilich zu unterbinden? Was sagt ein Bejahen dieser Fragen über die Haltung der Veranstalter aus? Die eigenen Anhänger werden zu Verfolgten stilisiert, wobei der Polizeischutz der Veranstaltung zahlenmäßig in etwa der Anzahl der mutmaßlich kritischen Bürger entsprach, die weder bewaffnet waren, noch randalierten, darunter eine größere Zahl junger Frauen, die auch Herrn MdL Klos aufgefallen war und mit deren Erwähnung sowie einer Bemerkung dazu, er seine Rede begann. Es war in keiner Weise erkennbar, dass sich die Redenden irgendwie bedroht fühlten, im Gegenteil wurde die Gruppe kritischer Bürger vor der Stadtbücherei mehrfach fast belustigt kommentiert. Eine junge Frau, die wohl aus Versehen eingelassen worden war, stand irgendwann auf und verließ sichtlich irritiert und konsterniert mit der Frage `was ist denn das?´ friedlich den Saal. Sie erntete johlenden Applaus der AfD-Anhänger. Ein Wille oder auch nur eine Bereitschaft zur Diskussion der eigenen Positionen: Fehlanzeige! Sollten kritische Nachfragen über die Teilnehmer-Selektion im Vorfeld bereits ausgeräumt werden?
Was wäre wenn in den Vorträgen zu Straftaten aufgefordert worden wäre, verfassungsfeindliche Äußerungen getätigt worden wären? Wer könnte und würde das prüfen?
Auszug aus der Satzung der Stadtbücherei: „§ 7 Verbotene Nutzungen: Die … Dienstleistungen der Stadtbücherei dürfen nicht …zur Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten genutzt werden. Insbesondere bei der Internetnutzung ist der Aufruf von gesetzeswidrigen, jugendgefährdenden, rassistischen, volksverhetzenden oder gewaltverherrlichenden Seiten verboten.“ Wurde oder wird das geprüft? Wer trägt hierfür bei Miet-Nutzung die Verantwortung? Hat die Stadt die Pflicht, dies auch im Rahmen von Miet-Nutzungen zu überprüfen? Wie kann es überprüft werden, wenn weite Teile, insbesondere mutmaßlich kritischer Öffentlichkeit ausgeschlossen werden? Immerhin wurde der AfD-Repräsentant Hoecke von Herrn Klos zustimmend zitiert („da hat Björn Hoecke ganz recht“)und mit zustimmendem Applaus bedacht. Wird gegen Herrn Hoecke der Vorwurf der Volksverhetzung nicht gerichtlich geprüft? Erfolgte oder erfolgt gegenüber Herrn Hoecke eine Distanzierung von offizieller AfD-Seite, auch auf Landesebene? Meines Wissens eindeutig `nein´. Auch im Rahmen der Veranstaltung: eindeutig `nein´!
Falls es interessieren sollte, so kann man sich weite Teile der vorgetragenen Äußerungen auf der Internetseite von AfD-Watch Heidelberg zu Gemüte führen und sich selbst ein Bild machen (das konnte noch nicht verhindert werden).Genau diese inhaltliche Auseinandersetzung wird jedoch durch die Strategie der geschlossenen Türen systematisch verunmöglicht. Vorsätzlich unterbunden? Es bleibt in der Berichterstattung der Polizeibericht übrig. Ist unter diesen Umständen demokratische Meinungsbildung noch möglich? Oder sind bereits Teilziele auf dem Weg der Systemzersetzung („Höllensturz des Leviathan“, O-Ton Herr Renner) erreicht? Die AfD wird sich immer als Opfer stilisieren, selbst wenn statt 15-20 eine Hundertschaft Polizisten den Saal, ja vor wem eigentlich? (vor dem Volk?, nein, das saß ja im Saal), „geschützt“ hätte. An Montagabenden in Dresden ist das nicht mehr nötig, da trauen sich Journalisten und Nicht-Sympathisanten aufgrund realer Gefahr physischer Übergriffe nicht mehr hin, vor denen offenbar die Polizei nicht mehr zu schützen in der Lage ist.
Wer derartige Veranstaltungen wie die am 12.05.17 in der Stadtbücherei in Heidelberg mit ermöglicht, muss sich fragen lassen, ob er sich dadurch zum Sympathisanten und Unterstützer der Veranstalter macht. Oder brauchen wir keine politische Meinungsbildung mehr, da wir uns der Demagogie bereits ergeben haben? Dieser Frage entgeht die formaljuristische Argumentation nicht. Warum wird in öffentlichen Räumen nicht öffentliche Meinungsbildung eingefordert? Kann man diesbezüglich nicht auch Mietverträge entsprechend ändern und dies zur Auflage machen? Hat, wer in Parlamente gewählt wird oder sich wählen lassen möchte, nicht die Pflicht, sich der gesamten Öffentlichkeit zu stellen? Von Seiten der AfD werden demokratische Diskussionsforen – auch der „Lügenpresse“ – gern und lautstark genutzt, teilweise kann man sagen versuchsweise gekapert.
Mir ist nicht bekannt, dass bisher eine öffentliche politische Veranstaltung in der Stadtbücherei in der oben beschriebenen Weise durchgeführt wurde.
Zum Schluss möchte ich gern Frau Dubravka Ugresic zitieren, aus dem Buch `Die Kultur der Lüge´ aus dem Jahr 1995 über den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien: „VATERLAND, INSTITUTIONEN, WIR, das sind die schützenden Zauberformeln, die vor der Gefahr des individuellen Handelns bewahren. Und wo es kein individuelles Handeln gibt, gibt es auch keine individuelle Verantwortung.
Der wird sicher nicht vor Scham sterben, sagt man im Volksmund von jemandem mit unterentwickeltem Gefühl für moralische Normen. Die Bürger des Landes, das nicht mehr existiert, sterben durch Kugeln, Messer, Bomben, aber kein einziger von den mehr als zwanzig Millionen Menschen des gewesenen Landes ist vor Scham gestorben und wird es auch nicht. Denn Scham ist eine zutiefst individuelle Empfindung.
Wenn ich gefragt werde, WER IST AN ALLDEM SCHULD, sage ich darum voller Scham: ICH! Und ich meine es ernst: ich bin schuld, weil ich nichts getan habe, um den Krieg aufzuhalten. Ich habe nichts getan, als ich vor mehr als zehn Jahren im Fernsehen sah, wie die serbische Polizei Kosovo-Albaner prügelte. Ich habe nichts getan, als ich vor einigen Jahren den ersten Kriegsgott und bald darauf auch den nächsten auftauchen sah … Ich habe mich nicht vor den ersten Panzer geworfen, der nach Slowenien rollte. Ich habe mich nicht aus Protest gegen den Krieg mit Benzin übergossen und öffentlich verbrannt. Ich habe die permanente Produktion von Lügen nicht beachtet, ich habe sie wie schmutziges Wasser ablaufen lassen. Und vieles andere mehr. Meine Aktionen sind unbedeutend, sie waren meist schriftlicher Natur. Zu spät und zu flau habe ich mein Milieu durch das geschriebene Wort aufgestört. Es ist mir nicht einmal gelungen, vor Scham zu sterben. Daß es auch anderen nicht gelungen ist, rechtfertigt mich nicht. Ja, ich bin schuld …“
Wer sich gern noch einmal die „ältere“ deutsche Geschichte vor Augen führen möchte, deren Zeugen langsam aussterben, dem möchte ich in letzter Zeit z.B. den Artikel `Ruhig abwarten´ in dem „antifaschistischen Kampfblatt“ `Die Zeit´ vom 26.01.2017 auf der Geschichtsseite empfehlen http://www.zeit.de/2017/05/adolf-hitler-reichskanzler-ernennung-jahrestag ).
Frau Hilde Domin, die Namenspatin des Veranstaltungssaales, war, wenn ich mich recht erinnere durchaus für ihre sehr dezidierten und pointierten Stellungnahmen sowie ihre streitbare Art bekannt. Was sie wohl von der o.g. Veranstaltung gehalten hätte? Ich hielte es nicht für ausgeschlossen, dass sie ihre Namensgebung dafür zurückgefordert hätte. Wir werden es nicht mehr erfahren. Leider können sich Tote nicht mehr wehren.
Wegschauen und Weghören heißt Zustimmen und Mitverantworten.
Ein nachdenklicher Bürger, der wohl aus Versehen eingelassen wurde (Name der Redaktion bekannt)