Völkerkundemuseum: Ausstellung „Hundert Jahre von Portheim-Stiftung – Hundert Jahre für Wissenschaft und Kunst“

9.7.2019    Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich zur Eröffnung unserer Jubiläumsausstellung „Hundert Jahre von Portheim-Stiftung- 100 Jahre für Wissenschaft und Kunst“. Dass wir dieses Jahr das hundertjährige Jubiläum der Josefine und Eduard von Portheim-Stiftung für Wissenschaft und Kunst in diesen schönen Räumen begehen können, verdanken wir allein zwei Personen, die in nobler Großzügigkeit die Stiftung gründeten und sie mit ihrem Vermögen und ihren Sammlungen ausstatteten:

Victor Goldschmidt, *10.2.1853 (Mainz), †8.5.1933 (Salzburg) und Leontine
Leontine Goldschmidt, née Porges von Portheim, *17.2.1863 (Prag), †25.8.1942 (Heidelberg)

Wer waren Victor und Leontine Goldschmidt und was waren ihre Beweggründe, die Stiftung zu gründen?
Zu beiden wissen wir, um diese Fragen eingehende beantworten zu können. eigentlich viel zu wenig.
Zu Leontine Goldschmidt wissen wir fast nichts. Der persönliche Nachlass von Leontine und Victor Goldschmidt wurde 1942 beschlagnahmt und wohl vernichtetet, zumindest muss er als verschollen gelten. Daher stehen uns leider kaum Quellen zur persönlichen Biographie zur Verfügung.
Victor Goldschmidt war Kristallograph, und zu ihm gibt uns immerhin der die im Universitätsarchiv aufbewahrte wissenschaftliche Nachlass einen Einblick über Werdegang, sein Werk und sein Wirken.

Victor Goldschmidt studierte erst an der Bergakademie in Freiberg/Sachsen. 1874 und schloss mit dem Diplom ab. Danach arbeitete er drei Jahre als Assistent an der Bergakademie, um dann das Studium an den Universitäten München und Heidelberg fortzuführen. 1880 promovierte er an der Universität Heidelberg mit einer Arbeit über Gesteinsanalyse. Von dem folgenden Jahrzehnt verbrachte er die längste Zeit in Wien. In diesem Lebensabschnitt, über den leider so gut wie nichts bekannt ist, wandte sich Goldschmidt seinem Schwerpunkt der Kristallographie zu und begründete seinen kristallmorphologischen Ansatz. Im Februar 1888 erfolgte die Habilitation für Mineralogie und Kristallographie an der der Universität Heidelberg. Ebenfalls seit 1888 wohnte er in Heidelberg, zuerst in der Sophienstr. 3, und dann ab 1895 in der Gaisbergstr. 9. Im Dezember 1888 wurde die Ehe mit Leontine von Portheim aus Smichov/Prag geschlossen.

Victor Goldschmidt und Leontine von Portheim entstammten alten jüdischen Familien in Frankfurt a.M. und Prag. Beide Familien erarbeiteten sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts und im Verlauf von drei Generationen bedeutende Stellungen in Industrie, Handel und Bankwesen. Victors Vater führte das Familienunternehmen zu großem Erfolg. In Folge der sich im 19. Jarhunderts ausweitenden Aktionsradien wurden die Goldschmidts zu einer ungewöhnlich kosmopolitischen Familie – neben Frankfurt war die Familie ebenso in London, Paris, Brüssel, Wien und Amsterdam zu Hause. Die von Portheim-Familie betätigte sich vorwiegend in Böhmen und in Wien. Für den Beitrag zur industriellen Entwicklung Böhmens wurde Leontines Großvater (1841) das Adelspatent mit dem Namen »von Portheim« verliehen. Ihr Vater Eduard führte mehrere Industrieunternehmen, gehörte zu Vorständen in Banken, leitete die Prager Handels- und Gewerbekammer und war Reichsratsabgeordneter für die Verfassungspartei in Wien. Das Elternhaus von Leontine in Prag/Smichov war das von Kilian Ignaz Dientzenhofer erbaute barocke Schlösschen, heute Villa Portheimka genannt, unter Denkmalschutz und als Museum genutzt.

Das langsame Fallen sozialer Beschränkungen für Juden einerseits, und der erarbeitete Wohlstand andererseits, führten zu weitergehender Teilnahme am allgemeinen Lebensstil großbürgerlicher Schichten. Dazu gehörte das Fördern von Musik und Literatur wie das Sammeln von Kunst (am bekanntesten dürfte Maximilian von Goldschmidt-Rothschild sein, ein Cousin von Victor Goldschmidt). Mit der Generation von Victor Goldschmidt beginnend, waren beide Familien auch auf dem Gebiet der Wissenschaft vertreten – dazu gehören z.B. der Biologe Leopold von Portheim (Mitgründer des ›Vivarium‹ in Wien) und der Chemiker Heinrich Goldschmidt, der Zoologe und Genetiker Richard B. Goldschmidt, der Physiker Stephan Mayer und der Chemiker Hans Mayer (beide Söhne von Victors Schwester Clara), der Kunsthistoriker Aby Warburg (ein Neffe) oder der Geochemiker Victor Moritz Goldschmidt.

In Heidelberg gründetet Victor Goldschmidt auch sein 1895 privates Kristallographisches Institut, das mit zu seinem internationalen Ruf beitrug und das bald Gastforscher aus aller Welt anzog. Die 1923 erschienene Festschrift verzeichnet 88 Gastforscher aus 19 Ländern, davon die meisten aus Nordamerika (26). Eine besonders nachhaltige Rezeption der Goldschmidt’schen Kristallographie war dann auch in den USA und Kanada zu verzeichnen. In Heidelberg war er als Privatdozent (1888), a.o. Professor (1893) und o. Honorarprofessor (1909) Mitglied der Universität. Leontine Goldschmidt unterstütze die wissenschaftlichen Arbeiten von Victor nicht nur, sie war darin eingebunden. Victor dankt ihr explizit im Vorwort seiner Werke und das ist für die damalige Zeit äußerst ungewöhnlich.
Neben der Kristallographie verfolgte Victor Goldschmidt immer seine Interessen, an denen Leontine regen Anteil nahm, an Philosophie, Musik und Kunst, mit dem Anliegen eines Brückenschlags zwischen Natur- und Geisteswissenschaften.

Ein Weltreise 1894/95 führte das Ehepaar über Nordamerika an erster Stelle nach Japan, um die dortige Musik kennen zu lernen; weitere Station waren China, Sri Lanka, Indien und Ägypten. Vor, während und nach der Weltreise legte Goldschmidt eine eigene Sammlung europäischer und außereuropäischer Kunst an, die er für Studien von musikologischen und farbtheoretischen Fragen nutzte.

Noch im Ersten Weltkrieg (1916) unternahm er vorbereitende Schritte zur Gründung einer größeren Wissenschaftsstiftung. So kam es im März/April 1919 zur Gründung der „Josefine und Eduard von Portheim-Stiftung für Wissenschaft und Kunst", benannt in Erinnerung an die verstorbene Mutter bzw. den verstorbenen Vater des Stifterehepaares. Zweck der Stiftung war die Fortführung der kristallographischen Arbeit, das Anlegen, Bewahren und Bearbeiten von Sammlungen sowie die Förderung wissenschaftlicher Arbeiten für eine definierte Gruppe von Fachdisziplinen beschränkt. Hierbei kam es Goldschmidt darauf an, bestehende Lücken in der Wissenschaftslandschaft Heidelbergs zu schließen und damit die Tätigkeit der Universität ergänzend zu unterstützen. Das zentrale Anliegen der Goldschmidts hierbei war und blieb die Unabhängigkeit der Stiftung: die Statuten von 1919 halten fest: „Sie soll frei sein von allen gesellschaftlichen, politischen und religiösen Beschränkungen“.

Im Jahre 1919 eine Stiftung vom Nullpunkt aus aufzubauen war ein weitsichtiges und vor allem mutiges Unterfangen. In den Jahren nach 1919 statteten die Goldschmidts die Stiftung mit einem Immobilien- und Kapitalvermögen aus, Sammlungen wurden für die Stiftung erworben und verschiedene Institute eingerichtet. Doch waren die unsteten Zeiten der Weimarer Republik ungünstig für die mit Elan und Hoffnung begonnene Arbeit. Als sich 1929/30 eine Verbesserung abzeichnete, begann der politische Horizont sich zu verdüstern. 1931 verlegte das Ehepaar Goldschmidt einen Teil des Vermögens in die Schweiz, nicht zuletzt als möglichen Rückzugsort, sollten sich die schlimmsten Befürchtungen Goldschmidts – „Diktatur oder Bürgerkrieg" – bewahrheiten. Auch hielten sie sich ab 1930 zunehmend im Ausland auf – eine Verlegung der Stiftung ins Ausland war angedacht. Doch es kam anders: Um angesichts der politischen Situation ihren Geburtstagsfeiern im Februar 1933 zu entgehen, begaben sich die Goldschmidts nach Salzburg, wo Victor Goldschmidt einige Monate später verstarb. Seine Asche wurde am 13.5.1933 in Heidelberg beigesetzt.
Victor Goldschmidt war noch im April 1933 infolge des »Badischen Judenerlasses« von der Universität entfernt worden. Entwürdigende Schikanen und Verfolgung kennzeichnen auch die letzten Jahre von Leontine Goldschmidt. 1937 musste sie ihr Haus Gaisbergstr. 9 verkaufen und wurde einem der »Judenhäuser« zugewiesen. 1942 wählte sie den Freitod, als ihre Deportation nach Theresienstadt anstand. Sie ist neben ihrem Ehemann auf dem Bergfriedhof in Heidelberg beigesetzt.
Trotz der Ereignisse zwischen 1933 und 1945 und ihrer tiefgreifenden Folgen für die Stiftung hat die Stiftung weiter Bestand – und dies gilt es zu feiern! Ein wesentlicher Grund hierzu lag und liegt in den wunderbaren Sammlungen und des besonderen, ihnen zugrundeliegenden Konzepts.
Auf die Sammlungen haben die Stifter immer den größten Wert gelegt.
Victor Goldschmidt war ein weitsichtiger und freier Denker, und es berührt gerade heute besonders, wenn Goldschmidt zur Bedeutung von Sammlungen schrieb (in der Sprache seiner Zeit formuliert): Die Sammlungen sind »ihr Halt, ihre Stammburg, ihre Geschichte, ihre Verknüpfung mit den früheren und späteren Geschlechtern«. (1907, zur Rheinischen Naturforschenden Gesellschaft, Mainz)
Darin ist ein wesentlicher Gedanke zum Ausdruck gebracht - die Sammlungen als bleibender Bezugspunkt in der Wissenschaft, die als Erkenntnisprozess darauf angelegt ist, den Stand eines Zeithorizontes möglichst zu überschreiten und sozusagen den »veralteten Wissensstand« hinter sich zu lassen; Die Objekte der Sammlungen dagegen können nicht »veralten«, überholt sein ( – in der Regel wirft niemand einen Originalkupferstich von Dürer weg, weil er mit einer längst überholten Drucktechnik hergestellt worden ist - ). Jede Zeit aber wird von ihrem Wissenshorizont anders auf die Objekte schauen und neue Einsichten und Erkenntnisse gewinnen – und damit sind die Sammlungen zugleich die Basis, die in die Zukunft, in neue Perspektiven und Wissensbestände tragen.

Daraufhin sind auch unsere beiden Ausstellungen zum Jubiläumsjahr ausgelegt: Die Geschichte zu beleuchten einerseits und die Perspektiven in die Zukunft andererseits.

Wir danken der Stadt Heidelberg und der Baden-Württemberg-Stiftung für die finanzielle Unterstützung der Aktivitäten im Jubiläumsjahr, ohne die wir die Ausstellungen nicht hätten realisieren können.

Margareta Pavaloi   9.7.2019

 

16.07.2019 - 16:45