Rektor Eitel an die Mitglieder des Gemeinderates: Geht es der Wissenschaft gut, geht es Heidelberg gut!

awl  18.7.2020   In einem Offenen Brief wandte sich der Rektor der Universität an die Mitglieder des Heidelberger Gemeinderates und kritisierte den Beschluss des Stadtentwicklungs- und Verkehrsausschusses zum weiteren Verfahren bei der Entwicklung des Masterplans für das Universitätsgebiet Im Neuenheimer Feld. Seine wichtigsten Argumente:

Bei der im Beschluss vorgesehenen gemeinsamen Beauftragung der Planungsteams Astoc und Höger drohe eine zu dichte Bebauung des Campus. Eine weitere Bebauung davon abhängig zu machen, dass im Gegenzug schrittweise der Autoverkehr zugunsten des Umweltverbundes verringert wird, nehme dem Land jede Handlungsfähigkeit in bezug auf die Entwicklung des Universitätsgebietes. Außerdem solle eine Trasse für eine Ringerschließung des Campus durch eine Straßenbahn geprüft werden, gegen den die Universität Bedenken habe. - Der Ausschuss hatte den Beschluss mit 11 Ja- gegen 5 Nein-Stimmen gefasst (s. Anhang).


Email  von Rektor Eitel an Mitglieder des Heidelberger Gemeinderates betr. Gemeinsamer Antrag Grüne, SPD, Die Linke, Bunte Linke, GAL und HIB zu Masterplanprozess 10.7.2020

Sehr geehrte Damen und Herren des Heidelberger Gemeinderates,

 im Namen des Rektorates der Universität Heidelberg und als Vertreter der Wissenschaftseinrichtungen Im Neuenheimer Feld (INF) im Masterplanprozess möchte ich mich heute in einer für uns alle zukunftsweisenden Situation an Sie wenden. Immer wieder habe ich die Symbiose betont, die Universität und Stadt verbindet – geht es der Wissenschaft gut, geht es Heidelberg gut! Das gilt für Wirtschaft, Handel und Tourismus, die herausragende Krankenversorgung durch das Universitätsklinikum, das gilt für kulturelle und wissenschaftliche Kongresse und Veranstaltungen von Weltrang in unserer Neckarstadt.

 Diese enge Verflochtenheit von Stadt und Wissenschaft, die naturgemäss immer auch ihre Reibungsflächen erzeugt, ist die Grundlage für die Zusammenarbeit im Masterplanprozess, den die Universität als eigenständiger Projektträger für die wissenschaftlichen Einrichtungen im Neuenheimer Feld begleitet und mitgestaltet. Auf der Basis der Rahmenvereinbarung, die der Heidelberger Gemeinderat 2017 verabschiedet hat, haben die Projektträger Stadt, Land und Universität in den vergangenen Jahren um die besten Lösungen für eines der bedeutendsten Wissenschaftsareale in Europa gerungen. Alle Beteiligten haben fachlich, sachlich und unter dem Grundsatz, den Campus städtebaulich qualitativ weiterzuentwickeln, zusammengearbeitet. Im Ergebnis sind wir nun nach intensiven Diskussionsrunden und mit hoher Kompromissbereitschaft von allen Seiten zu einem einvernehmlichen Beschlussvorschlag für den Gemeinderat gekommen. Er stellt aus unserer Sicht eindrucksvoll ein gemeinsam getragenes Entwicklungsverständnis für diesen wichtigen Wissenschaftscampus dar, der gleichzeitig auch als städtischer und landschaftlicher Raum Qualität gewinnt.

 In der Arbeit mit den Planern und mit großen Teilen der Stadtöffentlichkeit konnten zielführende Ansätze für die weitere Entwicklung der Wissenschaft definiert werden, ohne – wie von manchen Bürgerinnen und Bürgern befürchtet – zusätzliche Flächen im Neuenheimer Feld zu beanspruchen, die nicht im Landeseigentum sind. Dieser Entwicklungskorridor, den es in der Konsolidierungsphase weiter zu bearbeiten gilt, stellt damit eine solide Basis für die weitergehende Planung dar. Es ist mir wichtig zu betonen, dass diese von Universität, Universitätsklinikum und Deutschem Krebsforschungszentrum mitgetragenen Entwicklungsoptionen sich von bislang vertretenen Positionen gelöst haben, um zum Beispiel mit der Verpflichtung zu einem „Nachhaltigen Campus“ auch eine gemeinsame übergeordnete Verantwortung zu übernehmen. Dieser Prozess, in dem wir uns auf quantitative und qualitative Zielsetzungen und Entwicklungsstrategien geeinigt haben, ist bemerkenswert und verdient aus meiner Sicht die Anerkennung der politisch Verantwortlichen in unserer Stadt.

 Lassen Sie mich jedoch im Interesse von Transparenz und Klarheit ebenso offen ansprechen, was von Seiten der Wissenschaftsträger nicht akzeptiert werden kann, und das betrifft Punkte, die über Änderungsanträge nun Eingang in den Gemeinderatsbeschluss finden sollen.

  1. Wir können nicht mitgehen, wenn der Standort INF insgesamt so hoch nachverdichtet werden soll, dass die Aufenthaltsqualität beeinträchtigt und der Charakter des Wissenschaftscampus und damit auch des öffentlichen Raumes in erheblichem Maße gefährdet wird. Und dies, um dem politischen Ziel einzelner Interessenvertreter zu entsprechen, die fordern, den Hühnerstein nicht zu bebauen (Ansatz Höger), für den das Baurecht beim Land Baden-Württemberg liegt. Dies widerspricht der Rahmenvereinbarung (Ziffer 1, Abs. 3 u. 5), stellt aber auch den Campus als attraktiven Arbeitsplatz und Aufenthaltsort für Beschäftigte, Studierende und Besucher in Frage. Genau das war aber eine vom Gemeinderat formulierte und gesetzte Zielstellung. Die gemeinsam von den Projektträgern getragene Beschlussvorlage folgt daher im Wesentlichen dem Ansatz des Büros ASTOC, der sich städtebaulich flexibler erweist und mehr Freiraum bietet. Freiraum, den wir für die Forschung brauchen, deren Entwicklung wir nicht vordenken können. Corona hat uns auch das gelehrt. Die Planungsvariante von ASTOC sieht ebenfalls eine Verdichtung im Bestand vor, die weiter herausgearbeitet werden kann, denn eine maßvolle Innenverdichtung hat auch aus unserer Sicht Vorrang vor der Nutzung neuer Flächen auf dem Hühnerstein.
  2. Dieser Kompromissbereitschaft der Wissenschaftseinrichtungen steht diametral das Junktim entgegen, dass eine Erhöhung der Geschossflächenzahl und damit die Nachverdichtung abhängig macht vom Erfolg von Maßnahmen zur Reduktion des Autoverkehrs. Diese Forderung nimmt dem Land jede Handlungsfähigkeit und steht unserer Einschätzung nach in Widerspruch zu der in der Rahmenvereinbarung festgelegten Zielsetzung, notwendige Entwicklungsmöglichkeiten der Wissenschaftseinrichtungen zu fördern.
  3. In diesem Zusammenhang sind wir zudem höchst irritiert, dass in Ziffer 2, Abs. 6 u. 7 des Änderungsantrags erneut der bereits vor dem Verwaltungsgerichtshof erörterte Abschnitt einer Straßenbahntrasse im Kerncampusbereich (Vorschlag Höger) gefordert wird. In der gemeinsamen Beschlussvorlage der Projektträger wird ein möglicher Campusstraßenbahnring im Entwicklungskorridor im Kontext der Straßenverlegung nach Norden vorgeschlagen (Ziffer 2, Abs. 5). Mit dieser Variante erklären sich die Universität und ihre Partnereinrichtungen ausdrücklich einverstanden, da sie die Forschung auf dem Campusgelände kaum beeinträchtigt, in Verbindung mit einer möglichen Westanbindung den Rettungsverkehr nachhaltig sicherstellt und gleichzeitig die Arbeitsbedingungen sowie die verkehrliche Anbindung der Beschäftigten, Studierenden, Patienten und Besucher im Neuenheimer Feld verbessert.

Sehr geehrte Mitglieder des Heidelberger Gemeinderates, ich setzte Ihr Verständnis dafür voraus, dass ich mich in diesen für die Wissenschaft in Heidelberg existenziellen Fragen direkt an Sie wende. Es ist meine mir übertragene Verantwortung, alles dafür zu tun, die Rahmenbedingungen für eine international wettbewerbsfähige Forschung und Lehre im Interesse einer besseren Zukunft für Menschen und Umwelt am Wissenschaftsstandort Heidelberg zu erhalten und zu verbessern. Ich bin gleichzeitig überzeugt, dass wir im Masterplanprozess mit der von allen Projektträgern gemeinsam eingebrachten Beschlussvorlage tragfähige Konzepte für das Miteinander von Wissenschaftscampus und Stadtraum entwickelt haben, die es weiter auszubauen gilt. Ich bitte Sie, nun Ihrer Verantwortung nachzukommen, und dieser im konstruktiven Miteinander gefundenen Linie eine Chance zu geben.

 Mit besten Grüßen
Prof. Dr. Bernhard Eitel
Rektor


S.a.: Antwort eines Stadtrates an Rektor Eitel (Kommentar)

17.07.2020 - 10:15