Norbert Giovannini u.a.: „Stille Helfer. Eine Spurensuche in Heidelberg 1933–1945“

16.9.2019   Am 1. September stellte das Team um Norbert Giovannini um Saal der Jüdischen Kultusgemeinde das soeben erschienene Buch: Stille Helfer. Eine Spurensuche in Heidelberg 193–1945 der Öffentlichkeit vor. Über 200 Besucher verfolgten konzentriert und mit großer Anteilnahme die Präsentation, zu der Reinhard Riese, Claudia Rink und Ingrid Moraw zunächst Kurzbiographien von Helferpersönlichkeiten vortrugen

und dann zusammen mit Norbert Giovannini einige Biographien vertieften: Die der Ärztin Marie Clauss, die bis Kriegsende unbeugsam und entschieden jüdische Patientinnen behandelte;

die der Sozialwissenschaftlerin Marie Baum, die „rechte und linke Hand von Pfarrer Hermann Maas zugleich war (Reinhard Riese); Stefanie Pelissier, die sich hingebungsvoll der Unterstützung der Familie Alfred und Margarete Polack widmete, und sich weit über das Kriegsende hinaus der verwitweten und von der Lagerhaft in Frankreich schwer gezeichnete Margarete Polack bis zu deren Tod annahm (Claudia Rink). Schließlich widmete Ingrid Moraw ihren Beitrag der Kleingemünder Familie Lintz, die das aus Berlin geflohenen Ehepaar Bieberfeld und deren Begleiterin Helene Davidson im Sommer 1943 bei sich aufnahm.

Norbert Giovannini verdeutlichte in einem abschließenden Beitrag die Intentionen des Projekts. Gewürdigt und in die Erinnerung zurückgerufen werden sollen die uneigennützigen, aus unmittelbarem moralischen Impuls heraus, couragierten und doch stillen und zurückhaltenden Helfer. Sie verkörperten auch das „gute Heidelberg“, indem sie sich dem Mainstream des Mitmachens, Wegsehens oder der besonders engagierten Beteiligung an Verfolgungsmaßnahmen entzogen. Das Merkmal „still“ sagt zugleich, dass diese Menschen sich selbst und ihr Handeln für so selbstverständlich hielten, dass sie auch nach Ende des NS-Regimes darüber wenig Worte machten. Deshalb sind die meisten von ihnen und ihr Handeln auch vergessen worden.

Am Beispiel des evangelischen Stadtpfarrers Hermann Maas verdeutlichte Giovannini die Reichweite des helfenden Handelns. Die ging von kleinen Unterstützungs- und Solidaritätsgesten im Alltag über Maßnahmen wie medizinische und juristische Hilfe, Unterstützung bei Fluchtvorbereitungen und Unterbringung angesichts der angedrohten Deportationen, die bis ins Frühjahr 1945 stattfanden. Der überall präsente Hermann Maas verfügte indes über eine Reichweite, die anderen nicht zur Verfügung stand. Nicht zuletzt seiner internationalen Kontakte wegen und seiner Einbindung in ein lokales und ein überregionales Netzwerk. Aber auch bei den anderen Helfern sehen wir, dass sie Teil kleiner, familiärer, nachbarschaftlicher und beruflicher Netzwerke waren und nicht als Solitäre agierten.

Die Bedeutung der Helfer liegt darin, dass sie mit ihren Mitteln, meist in realistischer Einschätzung ihrer Möglichkeiten die Chancen zum Helfen nutzten. Sie zeigen damit Möglichkeiten des widerständigen Handelns auch unter Bedingungen des Terrors und der allgegenwärtigen Überwachung auf. Sie zeigen, was Mut, Entschlossenheit, manchmal auch Kaltblütigkeit und schiere Hingabe an eine Aufgabe, die sie sich selbst gestellt haben, bewirken kann. Für die Verfolgten war ihr Handeln ein Segen. Das bestätigten auch die vielen jüdischen Ehemaligen, die auf Einladung von OB Weber und OB Würzner die Stadt in den letzten Jahrzehnten besuchte. Es sind diese Helfer, die ihnen in Erinnerung geblieben sind, weil sie sich anständig und mutig verhalten haben.

Darin liegt auch die Gegenwartsbedeutung der Beschäftigung mit den Helfern. Gerade in Zeiten des aggressiven Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus, der Helfer zu Tätern umstilisiert und Verfolgte zu Gefahr und Bedrohung, zeigen die damaligen Helfer, dass es immer eine Möglichkeit und eine Herausforderung zum Helfen gibt. Dass jeder diese Chance wahrnehmen kann – oder sich ihr versagen. Dass es ein richtiges Leben im Falschen gibt, ja geben muss, um das Falsche nicht triumphieren zu lassen. Diese Optionen haben wir alle – wir müssen sie nur wollen und dann aktiv werden.

In diesem Sinne kann man die Helfer und Helferinnen als  moralische Ressource verstehen, die das „gut Heidelberg“ repräsentierten, auch wenn sie selbst vorsichtig und der Bedrohungslage angemessen agierten. Die auch selbst vielleicht in das Regime eingebunden waren, sich vorsichtig und nach außen hin angepasst verhalten mussten und allzu oft die Lingua tertii imperii, die faschistisch deformierte Sprache nutzen mussten, um sich den Machthabern verständlich zu machen. Manche der Helfer lösen Fragen und Zweifel aus. Der Gestapo-Vize Wilhelm Bender, den Giovannini in Umkehrung von Max Frischs Theaterstück Brandstifters Biedermann nennt. Die NSDAP-Mitglieder Dr. Kurt Hack und Dr. Ludwig Adelberger, letzterer eigentlich Prototyp des medizinisch erstklassigen, aber doch karrierebewussten Aufsteigers. Woher seine glasklare Position: Wir behandeln Patienten, alle. Auch die Juden.

Ein größeres Kapitel des Buchs ist der „innerjüdischen Hilfe“ gewidmet. Den Gemeindevorständen, Rabbinern und Vereinsmitgliedern, dem Lehrer Hermann Durlacher, der mit einigen seiner Schüler nach Gurs deportiert wurde. Dem Anwalt Arthur Strauss, der bis 1945 die Geschäfte der Gemeinde weiterführte und allen jenen, die die Kindertransporte nach England im Frühjahr und Sommer 1939 bewerkstelligten.

Ein eindrucksvolles Panorama – aber auch ein aktuelles Buch, das die Erinnerung die Helfer bewahrt. Und ihre Vorbildwirkung betont.

Die Pianistin Hu Oh begleitete die Präsentation mit 5 kleinen  Stücken aus dem Werk des neoklassischen, aus Mannheim stammenden Komponisten Robert Kahn (1865 – 1951). Sensible, fulminante und nuancierte Tonstücke, die mit bestechender Präzision und ungestümer Leidenschaft vorgetragen wurden. Es könnte die Musik aller jener gewesen sein, die damals Helfer und Verfolgte waren.

20.09.2019 - 09:15