Ziegelhausen mit dem Blick eines Biologen - 19. Ziegelhausen Spaziergang mit Prof. Storch
10.6.2018 rs/ds Unser Ziegelhausen Spaziergang war diesmal sicher an Strecke der kürzeste, an Wissensvermittlung aber der reichste unserer bisherigen Spaziergänge.
Prof. Storch begann mit der Würdigung des 1800 in Ziegelhausen geborenen und aufgewachsenen Heinrich Georg Bronn, Sohn der Ziegelhäuser Försterfamilie Bronn. Mit dessen Lehrstuhl in Zoologie hat das Fach Biologie an der Heidelberger Universität seinen Anfang genommen. Er hat auch Darwins Evolutionslehre aus dem Englischen übersetzt und publiziert.
Sehr anschaulich führte er vor Augen, wie schwer es Naturwissenschaftler damals hatten, sich aus den begrenzenden Dogmen der Kirche zu befreien: die Entdeckung der Evolution war ein zu großer Angriff auf die kirchliche Lehre von der Schöpfungsgeschichte.
Die Tradition der Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ hat Prof. Storch seinen Ausführungen als Motto vorangestellt. Er spannte einen großen Bogen von der Beobachtung und Würdigung des Kleinsten bis hin zu den großen, ja globalen Zusammenhängen.
So zog gleich der erste Blumenkasten um die Ecke unsere Aufmerksamkeit auf sich: Wir identifizierten die verschiedenen Wildpflanzen, die ihn besiedelten: das Glaskraut, Veronica persica, die Ackerschmalwand, den Giersch und das Schöllkraut. Waren es Unkräuter – oder sollte man sie nicht besser als Beikräuter bezeichnen? Der Giersch werde inzwischen sogar als Salat gegessen (allerdings nicht leicht verdaulich und nicht für empfindliche Mägen geeignet). Es wurde die Frage der ästhetischen Wertung angeschnitten: Die Wildpflanzen werden als Unkraut abgetan, als Zierpflanzen für unsere Gärten wählen wir dagegen meist exotische und extra gezüchtete Pflanzenarten, die wir in den Garten-Centern kaufen.
Am Fuß der Hirtenaue trafen wir auf eine prachtvolle städtische Bepflanzung mit Judasbäumen und der sog. Sylter Rose (die aber gar keine einheimische Art ist, sondern eigentlich Kamtschatka-Rose heißt). Es wurde die botanische Besonderheit des Judasbaums erläutert – als „Kauliflor“-Gewächs trägt er die Blüten direkt am Stamm.
Beim Blick in die umliegenden Gärten und auf die dort zahlreichen Nadelgehölze lernten wir, dass die Eibe dort der einzige tatsächlich einheimische Nadelbaum ist. Im Zuge der Entdeckungs- und kolonialen Eroberungsgeschichte entwickelte sich im 18. Jhdt. ein Bedürfnis nach Exotik – und botanische Schönheiten aus aller Welt hier in Mitteleuropa anzusiedeln. So wurden viele unserer Nadelbäume hier heimisch. An die als pflegeleicht beliebten Koniferen, die als nicht nadelnde und kein Laub abwerfende Sträucher und Bäume in den Vorgärten so beliebt sind, gehen übrigens kaum Insekten.Die roten Beeren der Eibe könne man sehr wohl essen, nur die Nadeln des Baums und das Samenkorn seien giftig, und es lasse sich leckere Marmelade aus den Früchten kochen, wie eine Teilnehmerin zu berichten wusste.
Eine schon ganz verdorrte Buchshecke wurde zum Ausgangspunkt für das Phänomen der eingewanderten oder eingeschleppten Schädlinge: beim Buchs ist es eine Raupe, der berühmt-berüchtigte Buchsbaum-Züntzler. Es sind jeweils neu auftretende Insekten und Pilze, denen eine ganze Reihe von Bäumen zum Opfer gefallen sind, in den 70er Jahren war es das sog. das Ulmensterben. Jetzt sind die Eschen befallen. Aber auch Roßkastanien und Walnussbäume haben mit neuen Schädlingen zu kämpfen. Es bleibe nichts als abzuwarten, bis die ersten Bäume Resistenzen entwickelt haben. An einem Rhododendron-Blatt wurde das Zusammenspiel erklärt: die Pilze arbeiten vor, die Insekten, hier ein Motte, können dann besiedeln.
Die Gallmilben, die wir auf Lindenblättern entdeckten, bieten dann jedoch auch wieder das Futter (sog. „Aeroplankton“), u.a. für die Mauersegler, die durch die Luft schießend sich ungeheure Mengen an Insekten-Nahrung zuführen.
Die Hochlandrinder, die inzwischen viele Hektar der Streuobstwiesen Ziegelhausens beweiden, bildeten die letzte Station des geführten Spaziergangs. Daß diese Hochlandrinder ökologisch gehaltene und gesunde Tiere sind, lernten wir an den Kuhfladen abzulesen: die vielen kleinen Löcher darin verrieten uns, daß der Zersetzungsprozeß und die Rückführung in die Biomasse eingesetzt hat. Dafür ist auch der Mistkäfer verantwortlich, der diese Löcher bohrt und damit den Kot für weitere Organismen aufschließt. Und aus diesem Grund wohl wurde der Scarabäus von den alten Ägyptern so verehrt, als wesentliches Glied im ökologischen Haushalt.
Als problematisch schilderte Prof. Storch jedoch den zu hohen weltweiten Anteil der Viehhaltung im großen Maßstab, 2/3 der Agrarfläche würden fürs Vieh genutzt, dabei ergebe die von den Tieren verzehrte Phytomasse nur 1/10 der Menge an Fleisch. Prof. Storch gelang es, auf diesem Spaziergang von dem kleinen Ausschnitt ausgehend die Verbindung zu den großen Fragen der Menschheit zu ziehen. Mit der Verstädterung und besonders den Megastädten sei der Haushalt der Natur aus dem Gleichgewicht geraten, in Deutschland lebten bereits ¾ der Bevölkerung in Städten, die derzeit größte Stadt auf der Welt habe 38 Millionen Einwohner. Vom Jahr 1830 bis heute habe sich die Weltbevölkerung versiebenfacht. Auf der Suche nach einem Ausweg würden zur Zeit Länder wie Saudiarabien oder Oman hervortreten - mit utopischen Modellen wie z.B. Hochhäusern, in denen agrarische Produktion in der Vertikale stattfinde.
Auf dem Rückweg entdeckten wir dann sogar noch Neues bezüglich des Fußwegenetzes, das uns optimistisch stimmte: neue Stickel am Ende des bisher blockierten Fußwegs vom Bächenbuckel, die offensichtlich auf Aktivitäten des Vermessungsamtes zurückgehen – ein erster Schritt zur Wiederherstellung dieses Wiesenweges? In der Peterstaler Strasse am Beginn des Plattenwegeles würdigten wir das Hinweisschild „Zum Friedhof“. Solche Hinweise auf die Fußverbindungen wären an vielen weiteren Stellen Ziegelhausens angebracht. (z.B. auf beiden Seiten des Fußwegs zwischen Moselbrunnenweg und Am Bächenbuckel, dessen Beginn man so schwer erkennt). Wir können nur immer wieder darauf hinweisen. Die Beschilderung ist Aufgabe der Stadt.
Roselinde Schwalm Dr. Jörg Sommer
(roselinde.schwalm@gmx.de) (joerg_sommer@freenet.de)